Samstag, 29. September 2012

Zitat: Lenobia

Sie sah zu dem hochgewachsenen Cowboy auf. Seine Augen hatten sich so aufgehellt, dass sie nicht einmal mehr haselbraun waren. Ganz deutlich waren darin lichte olivgrüne Punkte zu sehen, die ihr unendlich vertraut waren.
Sie dachte nicht nach. Sie handelte rein instinktiv - und trat ihm entgegen.
Auch Travis hatte wohl aufgehört zu denken, denn er ließ Bonnies Zügel los und zog sie an sich. Ihre Lippen trafen sich mit einer Mischung aus wilder Leidenschaft und verzweifelter Frage.
Noch hätte sie zurückgekonnt, aber sie wollte nicht. Sie ließ es zu. Nein, mehr. Sie brachte Travis´Leidenschaft ihre eigene entgegen und beantwortete seine Frage mit unbedingtem Begehren, mit tief empfundener Sehnsucht.
Der Kuss dauerte lang genug, dass sie seinen Geschmack, seine Körpersprache wiedererkannte und sich eingestand, wie sehr sie ihn vermisst hatte - wie unendlich sehr.
Und dann begann sie wieder zu denken.
Nur ein winziges Aufbäumen war nötig, schon ließ er sie aus seiner Umarmung frei.
Sie fühlte, wie sie ganz von selbst den Kopf schüttelte. Ihr Herz raste.
"Nein", sagte sie und versuchte ihres Atems Herr zu werden. "Das geht nicht. Ich kann das nicht tun."
Seine wunderschönen olivgefleckten Augen blickten wie betäubt.
"Lenobia, Mädchen. Wir müssen reden. Da ist was, was wir nicht einfach ignorieren können. Als wären wir -"
"Nein !"
Sie erkämpfte sich die stählerne Kontrolle zurück, die sie sich in Jahrhunderten antrainiert hatte, verbarg ihre Leidenschaft, ihr Begehren, ihre Furcht unter Wut und Kälte.
"Unterstehen Sie sich nicht. Menschen fühlen sich immer wieder zu unsereins hingezogen. Was Sie gespürt haben, war nur, was jeder Mann gespürt hätte, wenn ich mich dazu herabgelassen hätte, ihn zu küssen."
Sie zwang sich zu lachen, diesmal jedoch ohne jede Freude.
"Aus diesem Grund vermeide ich es, menschliche Männer zu küssen. Es wird nicht wieder vorkommen."
Und ohne ihn oder Bonnie noch einmal anzusehen, eilte sie davon. Da sie ihnen den Rücken zuwandte, sahen sie nicht, wie sie die Hand auf den Mund presste, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. Sie stieß die Seitentür des Stalls so kräftig auf, dass diese hart gegen die Wand prallte. Ohne innezuhalten, rannte sie hinauf auf ihr Zimmer über ihren geliebten Pferden, schloss die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel um.
Dann, und erst dann, ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

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